Anspruchsvolle Gratwanderung im Pitztal
An einem Freitag im Spätherbst 2018, direkt nach der Arbeit, ging es schnellstmöglich los ins (theoretisch) drei Stunden entfernte Pitztal. Wir hatten uns als Ziel die Hohe Geige und in direktem Anschluss den Mainzer Höhenweg herausgesucht. Geplant waren zwei Übernachtungen, die erste auf der Rüsselsheimer Hütte und die zweite auf dem Rheinlandpfalz-Biwak auf dem Wassertalkogel. Leider hatten nicht nur wir die Idee in die Berge zu fahren, so dass sich die Fahrt deutlich länger hinzog als geplant. Nach fast vier Stunden Fahrt konnten wir um 17:00 Uhr endlich mit unsere Tour starten. Ausgangsort war der Parkplatz Plangeross, direkt unterhalb unseren ersten Ziels.
Zunächst ging es wie geplant vor Sonnenuntergang bis zur Rüsselsheimer Hütte auf 2323m hinauf. Dort bezogen wir kurz vor 19 Uhr einen Platz im Matratzenlager und gesellten uns zügig in den Essensaal, da es dort, im Gegensatz zum Rest der Hütte, schön warm war. Wir hatten uns für das Luxusprogramm entschieden und tatsächlich Halbpension (!) genommen. Da wir aber nicht reserviert hatten, bekamen wir zu Essen, was halt noch da war und hier hatten wir definitiv nichts zu meckern. Zunächst gab es eine Suppe, gefolgt von einem leckeren Steinbockgulasch und als Nachspeise noch einen Apfelstrudel. Also alles richtig gemacht. Die Nacht war allerdings nicht so erholsam, obwohl nicht viel los war im Matratzenlager – die Geräusche der Anderen waren dennoch genug. Da es zusätzlich ganz schön frostig in der Nacht war, waren wir froh unseren Duoquilt ausgepackt zu haben und nicht nur die Decken zu haben.
Samstag morgen klingelte der Wecker früh, so dass wir nach dem Frühstück und kurz nach Sonnenaufgang auf die Hohe Geige starten konnten. Zu Beginn des Tages steckten wir noch tief im dichten Nebel, während wir dem sanft nach oben führenden Weg folgten. Aber schon nach kurzer Zeit konnten wir den Nebel hinter uns lassen und hatten von nun an einen fanatischen Ausblick auf die gegenüberliegende westliche Bergkette und das Wolkenmeer im Tal. Unterwegs hatten wir außerdem nicht nur das Glück eine Gruppe Schneehühner, sondern das noch größere Glück einen Steinbock in geringer Entfernung zu sehen.
Mit dem Erreichen des sogenannten Frühstückplatzerls hatten wir dann eine wunderbare Aussicht in drei Richtungen, in der vierten Richtung wartete die Hohe Geige darauf, von uns bestiegen zu werden. Der einfache Teil lag nun hinter uns und die Blockschuttkletterei noch vor uns. Länger als gedacht zog sich der Aufstieg über den Westgrad hin. Bei einer kurzen Verschnaufpause entdeckten wir über uns einen weiteren Steinbock. Leider war auch dieser für ein schönes Foto zu weit weg und verschwand kurze Zeit später im Fels.
Nachdem wir den Westgrad erfolgreich gemeistert hatten, kamen wir in eine Senke, wo noch ein kleines Schneefeld ums Überleben kämpfte. Von hier aus hat man die Wahl querfeldein zur Hohen Geige aufzusteigen oder den Markierungen zu folgen, was den Weg aber nicht einfacher macht. Nach vier Stunden Aufstieg erklommen wir schließlich den Gipfel der Hohen Geige. Nun hatten wir einen fantastischen Rundumblick bei strahlendem Sonnenschein.
Hinunter zur Senke ging es auf dem gleichen „Weg“, den wir uns zuvor hinaufgekämpft hatten. Dort unten teilt sich dann der Weg in Westgrad und Normalweg. Da wir ja bereits über den Westgrad aufgestiegen waren, entschieden wir uns den Normalweg hinab zu gehen. Steil ging es dort in Serpentinen nach unten, während uns die Sonne auf den Kopf brannte. Immer weiter stiegen wir ab, bis wir schlussendlich die Kreuzung in Richtung Rheinlandpfalz-Biwak erreichten. Unsere Wasservorräte waren schon zu Hälfte aufgebraucht und so machte sich Felix (in einem kleinen Sprint) auf zu dem Bach, den wir bereits beim Aufstieg entdeckt hatte. Ganz klar und sauber war das Wasser zwar nicht, aber für den Notfall besser als gar keins zu haben.
Schon etwas erschöpft, aber mit neuen Elan starteten wir um 14 Uhr endlich in Richtung Rheinlandpfalz-Biwak. Uns blieben noch fünf Stunden bis zum Sonnenuntergang für den Weg bis zum Biwak, der mit fünf Stunden angeschrieben war – also schaffbar. In Serpentinen ging es nun einen kleinen Aufschwung nach oben auf ein kleines Plateau mit See, der aber kaum mehr Wasser führte. Nach einem seichten Auf und Ab folgte ein sehr steiles und anstrengendes Stück hinauf in eine Scharte – der Weg verlief geradewegs den Berg nach oben (der Weg des fallenden Tropfens). In der Scharte angekommen wartete erneut ein steiles jedoch kürzeres Stück darauf bestiegen zu werden. Endlich oben kam die erste Kletterei zum Vorschein. Diese führte freilich wieder nach unten, da der Gletscher nicht mehr da war und eine tiefe Senke hinterlassen hatte.
Im Schatten der Berge verlief der Weg in einem ständigen Auf und Ab dahin – teilweise nicht ganz einfach und mit Drahtseilen gesichert. Die extra mitgenommen Leichtsteigeisen benötigten wir an dem letzten verbliebenen echten Gletscher jedoch nicht, da genug Geröll auf ihm herumlag, um sie auch so sicher begehen zu können. Einen markierten Weg gab es hier natürlich nicht, lediglich auf der anderen Seite des Eises einen großen roten Punkt, ehemals auf Gletscherhöhe, nun viele Meter oberhalb des kläglichen Restes Eis. Von diesem weithin sichtbaren Punkt geht dann der Weg weiter. Am letzten „Gletscher“, bevor es zu Biwakschachtel hinauf ging, fanden wir dann auch einen Rinnsal, der genug Wasser führte, um das dreckige Wasser von vorhin gegen neues frisches Gletscherwasser zu tauschen.
Völlig fertig von diesem anstregenden und langen Tag waren wir froh uns kurz vor Sonnenuntergang in der Biwakschachtel niederlassen zu können.
Nach einer unruhigen Nacht wachten wir ganz von allein vor dem Wecker und Sonnenaufgang auf. Natürlich wollten wir uns den Sonnenaufgang am Gipfel nicht entgehen lassen und packten uns daher zunächst dick ein. Mit einer großen Kanne Tee machten wir es uns im Windschatten eines Steinmanns bequem und genossen den Sonnenaufgang auf 3252m.
Bestens gelaunt starteten wir abermals auf den Weg, der nun endlich mehr am Grad entlang verlief als der erste Teil. Hin und wieder mussten kleine Kletterstellen und drahtseilgesicherte Passagen gemeistert werden. Auch eine lange Strecke großer Blockschutt erleichterte das Gehen nicht wirklich.
Kurz vor dem Pollesfernerkopf zweigt der Mainzer Höhenweg nach unten ab, da auch hier der Gletscher eine tiefe Senke hinterlassen hat. Der Gletscher war im Gegensatz zu dem auf der Karte eingezeichneten kaum mehr vorhanden. Uns erwartete hauptsächlich Schutt. Der wieder nach oben verlaufende Weg war nochmals etwas knifflig, da man von unten nur schwer die helfenden Drahtseile erkennen konnte. Diese halfen uns auf dem gefroren Boden sicher nach oben zu gelangen. Dies war auch schon der letzte Aufstieg, von nun aus ging es immer auf gut ausgetretenen Wegen hinunter ins Tal. Unten angekommen konnten wir noch einmal eine Blick auf den heutigen Start, das Biwak, erhaschen, welches nun weit über uns lag. Mit dem Bus ging es nun von der Talstation Pitztaler Gletscher zurück zu unserem Auto. Da wir die einzigen Fahrgäste waren, ließ der Busfahrer uns direkt am Parkplatz aussteigen, was für ein Luxus.